Kennst du dieses Gefühl?
Die Aufbruchsstimmung war elektrisierend. Ein neues Land, eine neue Kultur, ein Neuanfang. Ich hatte mir das Abenteuer im Ausland so lange erträumt, die Postkartenidylle schon vor meinem inneren Auge ausgemalt. Doch irgendwann, inmitten all der neuen Eindrücke und Herausforderungen, schlich sich eine unwillkommene Begleiterin ein: die Depression. Sie hatte sich scheinbar unbemerkt in meinen Koffer geschmuggelt und begann nun, ihre dunklen Schatten über meine vermeintliche Traumwelt zu werfen.
Anfangs waren es nur kleine Dinge. Die anfängliche Begeisterung wich einer bleiernen Müdigkeit. Die Neugier auf das Unbekannte verblasste und machte einer lähmenden Antriebslosigkeit Platz. Die bunten Farben der neuen Umgebung schienen immer grauer zu werden, die fröhlichen Stimmen der Einheimischen klangen plötzlich wie ein unverständliches Rauschen.
Die Sprachbarriere, die anfangs noch eine spannende Hürde war, fühlte sich nun an wie eine unüberwindbare Mauer. Jeder Smalltalk wurde zur Qual, jede Behördenangelegenheit zum unbezwingbaren Berg. Die einfachen Dinge des Alltags, die zu Hause selbstverständlich waren, erforderten hier immense Anstrengung. Ich fühlte mich isoliert, gefangen in einer Blase aus Unverständnis und Sprachlosigkeit.
Die Distanz zur Familie und zu Freunden, die ich einst als überwindbar abgetan hatte, lastete nun schwer auf meinen Schultern. In Momenten der Verzweiflung gab es keine tröstende Umarmung, kein vertrautes Gesicht, keine spontane Tasse Kaffee am Küchentisch. Die Anrufe in die Heimat fühlten sich oft wie ein Blick durch eine trübe Glasscheibe an – die Verbundenheit war da, aber die Nähe fehlte schmerzlich.
Die kulturellen Unterschiede, die mich anfangs fasziniert hatten, begannen nun, ein Gefühl der Entfremdung zu verstärken. Ich verstand die subtilen Nuancen nicht, die unausgesprochenen Regeln, die feinen Unterschiede im Umgang miteinander. Ich fühlte mich fremd, nicht zugehörig, ein stiller Beobachter am Rande des Geschehens.
Und dann war da noch die nagende Frage nach meiner Identität. Wer war ich ohne mein vertrautes Umfeld, ohne die Rollen, die ich zu Hause innehatte? Hier war ich nur der „Ausländer“, oft reduziert auf meine Herkunft, meine Akzent. Das Gefühl, ein Stück meiner selbst verloren zu haben, verstärkte die innere Leere nur noch.
Die Depression im Ausland ist eine besonders perfide Form der Dunkelheit. Sie nährt sich von der Isolation, der Unsicherheit und der ständigen Anpassung. Sie flüstert einem ein, dass man versagt hat, dass man dem Traum nicht gewachsen ist. Sie malt die Rückkehr in die Heimat als einzig mögliche Erlösung, obwohl man tief im Inneren weiß, dass die Probleme nicht einfach an der Landesgrenze Halt machen.
Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, ein ständiges Ringen um ein bisschen Licht in der Dunkelheit. Es bedeutet, sich jeden Tag aufs Neue aufzuraffen, obwohl die Kraft fehlt. Es bedeutet, sich zu zwingen, unter Menschen zu gehen, obwohl man sich am liebsten unter der Bettdecke verkriechen würde. Es bedeutet, professionelle Hilfe in einer fremden Sprache und einem fremden Gesundheitssystem zu suchen, was eine zusätzliche Hürde darstellt.
Manchmal gibt es Momente der Hoffnung, kleine Lichtblicke, die zeigen, dass man nicht ganz allein ist. Ein freundliches Lächeln eines Fremden, ein verständnisvolles Gespräch mit einem anderen Expat, ein kleiner Erfolg im Erlernen der Sprache. Doch oft werden diese Momente schnell wieder von der alles umfassenden Traurigkeit verschluckt.
Ich sitze hier, blicke aus dem Fenster auf eine fremde Stadt und fühle mich doch so unglaublich allein. Die Sehnsucht nach Vertrautheit ist fast körperlich spürbar. Die Depression hat das Abenteuer in eine Last verwandelt, die bunten Postkartenbilder sind verblasst und durch graue Schleier ersetzt worden. Ich bin verloren im Transit, gefangen zwischen der Hoffnung auf ein besseres Morgen und der erdrückenden Schwere des Jetzt. Und ich frage mich, wann diese Reise endlich ein besseres Ziel erreicht.